Fachdidaktik Deutsch Vormbaum

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Mai 2018: Frische Fahrt

 Laue Luft kommt blau geflossen,
Frühling, Frühling soll es sein!
Waldwärts Hörnerklang geschossen
Mut’ger Augen lichter Schein;
Und das Wirren bunt und bunter
Wird ein magisch wilder Fluss,
In die schöne Welt hinunter
Lockt dich dieses Stromes Gruß.

Und ich mag mich nicht bewahren!
Weit von euch treibt mich der Wind,
Auf dem Strome will ich fahren,
Von dem Glanze selig blind!
Tausend Stimmen lockend schlagen,
Hoch Aurora flammend weht,
Fahre zu! Ich mag nicht fragen,
Wo die Fahrt zu Ende geht!

Boot Eichendorff

Der Zyklus der Wanderlieder Eichendorffs beginnt mit „Frischer Fahrt“, einem von Enthusiasmus getragenen Aufbruchsgedicht. Wie viele andere Gedichte Eichendorffs stammt  auch dieser Text  ursprünglich aus einem Prosawerk, in diesem Fall ist es der Roman „Ahnung und Gegenwart“, erstmals 1812 erschienen. Die Gräfin Romana singt dieses Lied als Ausdruck jugendlichen Aufbegehrens gegen die behütende Fürsorge der Mutter (vgl. "Ahnung und Gegenwart", II, S. 124 f.)  Der Frühling (vgl. Z. 2) symbolisiert die Jugend, den Lebensaufbruch, das akustische Signal dazu gibt der Hörnerklang (vgl. Z. 3). Das junge lyrische Ich will sich ins bunte, wilde Leben stürzen, verkörpert durch den Fluss als magischen Lebensstrom. Es lockt das Abenteuer, die schöne Welt (vgl. 7-8), bunt und wirr (vgl. Z. 5), jenseits des grauen, geordneten (philiströsen) Alltags. Allerdings ist das Gedicht nicht so optimistisch, wie es auf den ersten Blick scheint.

Denn wohin geht die frische Fahrt? Bereits in der ersten Strophe deutet sich ein Niedergang an, die Reise geht flussabwärts, geht sie vielleicht sprichwörtlich den Bach „hinunter“ (Z. 7)? Deutlicher wird die zweite Strophe. Das Ich lässt sich vom Strom mitreißen, um dem Stillstand zu entrinnen, mit vehementem Ausruf trotzt es der Vorsicht und des Bleibenwollens: „Und ich mag mich nicht bewahren!“ (Z. 9) In blinder Seligkeit reist es in die Weite (Z. 11-12), die klanglichen und bildlichen Versuchungen nehmen noch an Stärke zu (quantitativ: „Tausend Stimmen“, Z. 13; qualitativ: „Hoch Aurora flammend weht“, Z. 14), die Natur verführt mit dem verzehrend schönen Schein der Morgenröte. Die Sehnsucht reagiert auf diese Lockung mit radikaler Unbedingtheit, das Ziel und Ende der Reise wird nicht hinterfragt: „Fahre zu! Ich mag nicht fragen, Wo die Fahrt zu Ende geht!“ (Z. 15-16) Dabei liegt im Ausweichen der Frage implizit die Angst vor der unheilvollen Antwort verborgen, dass das Ziel der Reise gleichsam der Untergang, das Ende des Lebens bedeuten könnte. Dass dies für Eichendorff ein typischer Gedanke ist, lässt sich in einem Vergleich mit dem motivaffinen Gedicht „Die zwei Gesellen“ (ursprünglich „Frühlingsfahrt“ betitelt)  vom selben Autor und an dem darin  in der dritten Strophe dargestellten Schicksal des zweiten Wandersmanns herausarbeiten: „Dem zweiten sangen und logen | Die tausend Stimmen im Grund, | Verlockend‘ Sirenen, und zogen | Ihn in der buhlenden Wogen| Farbig klingenden Schlund.“  Im Topos von der Reise als Bild für das Leben ist das Scheitern, der Untergang bereits mit angelegt, die Lebensreise kann ihr Ende nur im Tod finden. Daran ändert auch das Sichbewahren als philiströse Alternative nichts, wie dies das Schicksal des anderen Gesellen zeigt, der sich behaglich in den heimaltlichen Grenzen niederlässt und ein lang gesichertes, aber ereignisarmes Leben in den eigenen vier Wänden vorzieht.

>> Eichendorff: Zwei Gesellen

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