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- Kategorie: Tipps für den Unterricht
- Veröffentlicht: 24. August 2016
- WINZGESCHICHTEN -
Die Vertretungsstunde basiert auf der Publikation "Auf die Länge kommte es an. Tiny Tales. Sehr kurze Geschichten von Florian Meimberg" (Fischer Tb, November 2011). Der Autor hat darin eine Vielzahl von Mini-Geschichten verfasst, die über fünf Sätze nicht hinausgehen. Wie in der japanischen Lyrik der Haiku streng auf drei Zeilen reglementiert ist, so beschränkt sich Florian Meimberg auf eine kurze Abfolge von - oft elliptischen - Sätzen mit einer auffallenden Pointe am Ende. Auf diese Weise entsteht ein Spiel mit dem Leser, der meist mit seinen Vorerwartungen und Assoziationen in eine falsche Richtung gelenkt wird. Die vom Leser getätigten fraglosen Voraussetzungen werden dann mit der Schlusspointe aufgebrochen und hinterfragt.
Der Einsatz solcher "Tiny Tales" eignet sich, auch aufgrund so mancher "schlüpfriger" Themen und Abgründigkeiten, erst ab Klasse 9.
Im Folgenden sei der mögliche Ablauf der Vertretungsstunde kurz geschildert. Die Schüler werden zu zweit oder zu dritt - je nach Klassenstärke - mit jeweils einer der nachfolgenden Winzgeschichten konfrontiert:
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1. Er schwebte auf das Leuchten zu. Es stimmte: der Tunnel. Das helle Licht. Nun war es also vorbei. Eine Stimme ertönte: „Es ist ein Junge!“
2. Dr. Khan lächelte. Die 12000 Jahre alte Mumie war erstaunlich gut erhalten. Er studierte die Details: Die Haare. Die Kleidung. Das iPad.
3. Der alte Mann weinte. Die Bilder ließen ihn einfach nicht los. Der Bombenhagel über Dresden. Das Lager. Die Folter. Damals. November 2014.
4. „Sorry. Ich hab einen Freund.“ Eva log. Der Typ war ihr auf Anhieb unsympathisch. „Schade“, murmelte Adam und verschwand wieder im Wald.
5. Eng umschlungen blickten sie zur Decke. Pias Brautkleid lag vor dem Bett auf dem Boden. Sie schielte zur Uhr. „Ich muss los. Zur Trauung.“
6. Er hatte den See überquert. Zu Fuß. Das musste sich doch vermarkten lassen. Er trommelte seine 12 besten Freunde zusammen.
7. Mit dem Macintosh 12k unter dem Arm stieg er aus der Zeitmaschine. „Zeit für eine Revolution!“, dachte der junge Steve Jobs. Es war 1983.
8. Der Witz ging Lisa nicht mehr aus dem Kopf. Sie musste sich das Lachen verkneifen, versuchte still zu sitzen. Konzentriert malte Da Vinci.
9. „...hinterlasse ich mein gesamtes Vermögen meiner geliebten Maja.“ Der Notar schloss das Dokument und blickte in die Runde. Maja bellte.
10. Die Ausgrabungsstätte flimmerte in der nächtlichen Wüste. Ellas Blick wanderte über das Camp. Aus dem Sand ragte die Spitze des Eifelturms.
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Die einzelnen Gruppen beschäftigen sich kurz mit ihrer Geschichte und stellen sie dann vor, indem sie sie nacheinander laut vorlesen. Ziel ist es
a) die beste Geschichte auszuwählen und
b) die Struktur dieser Geschichten zu analysieren.
In einem zweiten Schritt haben die Kleingruppen die Möglichkeit, eigene "Winzgeschichten" nach diesem Muster zu verfassen und der Klasse zu präsentieren.
Übrigens: In meiner Vertretungsstunde war die Geschichte 4 mit Eva klar die "Number one". Es schloss sich darauf eine interessante Diskussion darüber an, warum eigentlich die Frau in der Genesis diejenige ist, die dem Falschen, dem Trügerischen anheim fällt. Zitat:"Eva log" (...)