Fachdidaktik Deutsch Vormbaum

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September 2012: Hymnen an die Nacht

John Stevens: Thursday Night - Couples Night

 

Welcher Lebendige, Sinnbegabte, liebt nicht vor allen Wundererscheinungen des verbreiteten Raums um ihn das allerfreuliche Licht – mit seinen Farben, seinen Strahlen und Wogen; seiner milden Allgegenwart, als weckender Tag. Wie des Lebens innerste Seele atmet es der rastlosen Gestirne Riesenwelt, und schwimmt tanzend in seiner blauen Flut – atmet es der funkelnde, ewigruhende Stein, die sinnige, saugende Pflanze, und das wilde, brennende, vielgestaltete Tier – vor allen aber der herrliche Fremdling mit den sinnvollen Augen, dem schwebenden Gange, und den zartgeschlossenen, tonreichen Lippen. Wie ein König der irdischen Natur ruft es jede Kraft zu zahllosen Verwandlungen, knüpft und löst unendliche Bündnisse, hängt sein himmlisches Bild jedem irdischen Wesen um. – Seine Gegenwart allein offenbart die Wunderherrlichkeit der Reiche der Welt.

Abwärts wend ich mich zu der heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht. Fernab liegt die Welt – in eine tiefe Gruft versenkt – wüst und einsam ist ihre Stelle. In den Saiten der Brust weht tiefe Wehmut. In Tautropfen will ich hinuntersinken und mit der Asche mich vermischen. – Fernen der Erinnerung, Wünsche der Jugend, der Kindheit Träume, des ganzen langen Lebens kurze Freuden und vergebliche Hoffnungen kommen in grauen Kleidern, wie Abendnebel nach der Sonne Untergang. In andern Räumen schlug die lustigen Gezelte das Licht auf. Sollte es nie zu seinen Kindern wiederkommen, die mit der Unschuld Glauben seiner harren?

Was quillt auf einmal so ahndungsvoll unterm Herzen, und verschluckt der Wehmut weiche Luft? Hast auch du ein Gefallen an uns, dunkle Nacht? Was hältst du unter deinem Mantel, das mir unsichtbar kräftig an die Seele geht? Köstlicher Balsam träuft aus deiner Hand, aus dem Bündel Mohn. Die schweren Flügel des Gemüts hebst du empor. Dunkel und unaussprechlich fühlen wir uns bewegt – ein ernstes Antlitz seh ich froh erschrocken, das sanft und andachtsvoll sich zu mir neigt, und unter unendlich verschlungenen Locken der Mutter liebe Jugend zeigt. Wie arm und kindisch dünkt mir das Licht nun – wie erfreulich und gesegnet des Tages Abschied. – Also nur darum, weil die Nacht dir abwendig macht die Dienenden, säetest du in des Raumes Weiten die leuchtenden Kugeln, zu verkünden deine Allmacht – deine Wiederkehr – in den Zeiten deiner Entfernung. Himmlischer, als jene blitzenden Sterne, dünken uns die unendlichen Augen, die die Nacht in uns geöffnet. Weiter sehn sie als die blässesten jener zahllosen Heere – unbedürftig des Lichts durchschaun sie die Tiefen eines liebenden Gemüts – was einen höhern Raum mit unsäglicher Wollust füllt. Preis der Weltkönigin, der hohen Verkündigerin heiliger Welten, der Pflegerin seliger Liebe – sie sendet mir dich – zarte Geliebte – liebliche Sonne der Nacht – nun wach ich – denn ich bin dein und mein – du hast die Nacht mir zum Leben verkündet – mich zum Menschen gemacht – zehre mit Geisterglut meinen Leib, daß ich luftig mit dir inniger mich mische und dann ewig die Brautnacht währt.

Franz von  Stuck: Le baiser du sphinx

 

Hier abgedruckt ist die erste Hymne aus dem Zyklus, erstmals 1800 veröffentlicht.

Diese erste Hymne in rhythmisierter Prosa kann von ihrem geistigen Prozess her in drei Teile unterteilt werden. Sie setzt mit einem Lob des Lichts ein, welches zunächst als Prinzip des Lebens bezeichnet wird. Der zweite Teil der ersten Hymne setzt die Nacht dem Licht entgegen. Die Assoziationen zur Nacht sind zuerst geprägt von Gefühlen der Einsamkeit und Leere und beeinflusst von gescheiterten Hoffnungen. Das lyrische Ich, das erst nach der Erwähnung der Nacht auftaucht, empfindet Sehnsucht nach dem Licht. Im dritten Teil verschwindet diese Sehnsucht nach dem Licht jedoch und weicht dem Verständnis der geheimnisvollen Nacht. Hier eröffnet sich auch die Erfahrung der Liebe, mit der Geliebten wird die ewige Brautnacht vollzogen. Dabei wird die Geliebte als „Sonne der Nacht“ umschrieben, in der Licht und Dunkelheit sich komplementär ergänzen, eine Synthese, in der die Gegensätze zugunsten einer neuen Einheit aufgehoben werden.

Liebe, Sehnsucht

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