Am Fenster jene Frau, die seit drei Jahren mit gepackten Kisten lebt, späht in den Hof, ob dort nicht grad der Umzugswagen einfährt. Nur Plastiktonnen und die Vorkriegsbirken erster Mieter. Zwischen Unkraut kopulieren Katzen. Im kurzen Mittag, da bis ins Gras die Sonne reicht, streunen die Hauswartsschritte, verloren wie das Altpapier, das aus den Hauseingängen weht und mit der Spitze eines Taschentuchs wischt er die namenlosen Klingelschilder. Die Sonne wechselt über auf die andre Fensterfront, Kinderstimmen in der Häuserschneise, doch niemand ist zu sehen, als ob Septemberluft allein schon klänge. Eine Stufe knarrt, ein Katzenjunges hinkt hervor. Bald bleibt auch die Kellertreppe wieder still, was ist es dann gewesen? Nur Sommer.
Das Fenstermotiv in Nora Bossongs Gedicht "Hinterhof"
Das Fenster ermöglicht in dem Gedicht zwei Perspektiven, einen Ein- und einen Ausblick. Der Leser sieht zunächst durch ein Fenster im Inneren eine Frau und erhält die Information, dass sie seit Jahren mit gepackten Koffern lebt und auf den Umzugswagen wartet. Zum andern sieht er mit der Frau durch das Fenster nach draußen auf den Hinterhof und erlebt mit ihr, wie die Zeit vergeht und die Sonne wandert , ohne dass wirklich etwas passiert. Wenn der Leser sich in diese Situation einfühlt, wenn er die Perspektive der Frau einnimmt und ihre Aussichten, ihren verharrenden Blick auf den Hinterhof, dann wird ihm schlagartig bewusst, dass diese Augenblicksimpression eigentlich von Dauer ist, dass die Frau womöglich schon seit Jahren am Fenster steht und sie keiner abholen wird. Es schleicht sich vielleicht das Gefühl ein, dass die Frau über die Zeit des Schauens und Wartens alt geworden ist und dass man sie einfach vergessen hat. Das Fenster ist dann der einzige Kontakt zur Welt, aber nur aus der Distanz und nur zu einem kleinen Ausschnitt von der Welt, zu einem Hinterhof fast ohne Menschen und ohne Ereignisse, eine kleine Welt, in der nur das unaufhörliche Verstreichen der Jahreszeit Bestand hat: „[W]as ist es dann gewesen? Nur Sommer.“ (Z. 14f.) - Vielleicht fühlt sich ja so Altsein an.