Fachdidaktik Deutsch Vormbaum

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Juli 2015: kreidephysik


kreidephysik  
           mit novalis

nun schneit es wieder gips (das ist kalziumsulfat) von der tafel
gesetz + natur sogenanntes – das ganze verkehrte wesen
ein bloßes experimentieren im staub diese trockenen

teilchen + formeln über die du dich hinwegsetzt
im gespräch über weltgeschichten mit den bank-
nachbarn steckst du die köpfe zusammen: märchen und

gedichte ein leises muster kleiner stimmen überlagert
von vorne der vortrag unterbricht das kreischen
der kreide die rechnet vom vortag noch müde

fehlen dir jetzt verstand und verständnis
für eine doppelte natur von welle + teilchen
sich abwechselnde licht- und schatten-

streifen durch die lamellen vorm klassenfenster
fällt dein blick aus den gläsern die blenden
geöffnet ins schulbuch: die zahlen und figuren

blind im papier verraten  sich
physik + kreide dir im gespräch
in einem geheimen wort

 

Christoph Wenzels Gedicht "kreidephysik" zu verstehen geht am besten, wie der Untertitel schon sagt, "mit novalis". Der Romantiker, mit eigentlichem Namen Georg Friedrich Philipp Freiherr von Hardenberg, hatte um 1800 die folgenden programmatischen Verse geschrieben:

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freye Leben
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu ächter Klarheit werden gatten,
Und man in Mährchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.

aus: Novalis: Schriften, Paul Kluckhohn u. Richard H. Samuel, W. Kohlhammer, 1960, S. 344.
Eine gute Analyse dieses Gedichts im Überblick hat Dr. Susanne Raabe visualisiert: http://www.digitale-schule-bayern.de/dsdaten/587/585.pdf

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