Fachdidaktik Deutsch Vormbaum

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Ein Liebeslied

Komm zu mir in der Nacht – wir schlafen engverschlungen.Klimt Der Kuss neu neu
Müde bin ich sehr, vom Wachen einsam.
Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon gesungen,
Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen.


Es öffnen Blumen sich vor allen Quellen
Und färben sich mit deiner Augen Immortellen…


Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen
Und Liebe eingehüllt spät in mein Zelt.
Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen.


Wir wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen
Im hohen Rohre hinter dieser Welt.

 

 

 

 

Dass sich das einzigartige Gefühl der Liebe nicht im Benannten, Bekannten und Gewohnten unterbringen lässt, dass es nicht in der Konvention der Sprache aufgeht, mag so mancher Erfahrung entsprechen. "Denn das Wort ist der Feind des Geheimnisvolllen und ein grausamer Verräter der Gewohnheit." So Thomas Mann in den "Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull" (II,6, Frankfurter Ausgabe, S. 132). Und doch findet Else Lasker-Schüler für die Liebe ein Lied. Mag die Melodie freilich jeder nur für sich in seinem Innern vernehmen, so scheinen dennoch die lyrischen Worte der Theorie von der Wortlosigkeit der Liebe zu widersprechen - oder nicht? "Wir wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen / Im hohen Rohre hinter dieser Welt."
Der einsame Wunsch des lyrischen Ich nach einer glückseligen Vereinigung, nach inniger Vertrautheit mit einem anderen Menschen kommt wohl dem Wunsch nach einem wortlosen Urzustand gleich. Thomas Mann hat diesen Gedanken seinen Erzähler Felix Krull in bemerkenswerter Weise ausführen lassen: 
"Von zarten und schwebenden Dingen heißt es zart und schwebend reden, und so werde eine zusätzliche Betrachtung hier behutsam eingerückt. Nur an den beiden Polen menschlicher Verbindung, dort wo es noch keine oder keine Worte mehr gibt, im Blick und in der Umarmung, ist eigentlich das Glück zu finden, denn nur dort ist Unbedingtheit, Freiheit, Geheimnis und tiefe Rücksichtslosigkeit. Alles, was an Verkehr und Austausch dazwischenliegt, ist flau und lau, ist durch Förmlichkeit und bürgerliche Übereinkunft bestimmt, bedingt und beschränkt. Hier herrscht das Wort, - dies matte und kühle Mittel, dies erste Erzeugnis zahmer, mäßiger Gesittung, so wesensfremd der heißen und stummen Sphäre der Natur, daß man sagen könnte, jedes Wort sei an und für sich und als solches bereits ein Phrase. Das sage ich, der, begriffen in dem Bildungswerk meiner Lebensbeschreibung, einem belletristischen Ausdruck gewiß die erdenklichste Sorgfalt zuwendet. Und doch ist mein Element die wörtliche Mitteilung nicht; mein wahres Interesse ist nicht bei ihr. Dieses vielmehr gilt den äußeren, schweigsamen Regionen menschlicher Beziehung; jener zuerst, wo Fremdheit und bürgerliche Bezuglosigkeit noch einen freien Urzustand aufrechterhalten und die Blicke unverantwortlich, in traumhafter Unkeuschheit sich vermählen; dann aber der anderen, wo die möglichste Vereinigung, Vertraulichkeit und Vermischung jenen wortlosen Urzustand auf das vollkommenste wiederherstellt." (Thomas Mann, Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Erstdruck 1954. In der Fassung der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe, Frankfurt (S. Fischer) 2014, 2. Buch, 4. Kap., S. 100f.)

Gustav Klimt (1862-1918): Das Liebespaar (ursprünglicher Titel, entstanden 1907/08, später berühmt geworden unter dem Titel "Der Kuss")
April 2014: Vollmond

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